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Zurück zum Ursprung

  • Autorenbild: Sabine Fischer
    Sabine Fischer
  • 12. Sept.
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 18. Okt.

"Nur eine angezündete Kerze

kann eine andere Kerze anzünden."

Dada Bhagwan


Ich habe mich chic gemacht. Ich will mich mal wieder richtig gut fühlen und der Welt zeigen, dass ich etwas wert bin. Jeder soll es sehen und so habe ich mein letztes Geld in ein neues Outfit investiert. In langem Rock und hohen Schuhen tripple ich nun durch die Rottweiler Altstadt.


Vor mir geht ein Mann, der mich noch nicht bemerkt zu haben scheint, was augenblicklich den Unwillen meines Egos hervorruft. Jeder soll sehen, wie toll ich bin, auch dieser Mann. Ich beschleunige meinen Schritt, um ihn noch zu überholen, bevor er um die nächste Ecke verschwunden sein würde, als ich auf einmal ins Rutschen komme.


Das Gehen in so hohen Schuhen ist ungewohnt für mich, auch habe ich den glitschigen Untergrund nicht bemerkt, weil ich zu sehr mit der Wirkung meiner Person beschäftigt war. Ausgerechnet in diesem Moment dreht der Mann sich zu mir um. Sein Gesicht verrät Unmut, als er zu mir sagt: „Nun entspann dich mal und mach langsam!“ Völlig perplex bleibe ich stehen und halte inne.


Der Mann ist längst aus meinem Blickfeld verschwunden, doch seine Worte wirken nach. Ich versuche, in mich hineinzuspüren und kann tatsächlich eine gewisse Anspannung wahrnehmen. Ist für andere etwas offensichtlich, was ich bisher nicht sehen konnte? Wenn der Mann recht hatte, dann wollte ich etwas dagegen unternehmen. Und zwar sofort.


Ich würde mich genau hier, wo ich jetzt gerade stehe, ausgestreckt auf den Boden legen und die Augen schließen. Ich würde so lange mit geschlossenen Augen liegen bleiben, bis ich spüren würde, dass ich entspannte. Ich würde es aushalten, wenn Passanten über mich lachen und mit dem Finger auf mich zeigen oder sich sogar verächtlich wegdrehen würden.


Und so lege ich mich auf den Boden. Ich schließe meine Augen, falte meine Hände auf meiner Brust und mache nichts mehr, außer auf die Entspannung zu warten. Bis diese sich einstellen würde, würde ich einfach beobachten, was ich wahrnahm.


Ich nehme den harten Boden und die Steinchen unter meinem Körper wahr. Ich nehme Menschen wahr, die an mir vorbeigehen. Manche bleiben interessiert stehen, um zu sehen, was mit mir geschehen würde, doch es passiert nichts. Andere gehen kopfschüttelnd weiter. Wieder andere wagen gar nicht hinzusehen aus Angst, ich könnte eine ansteckende Krankheit haben. Ich lasse mich von nichts aus dem Konzept bringen und liege einfach nur da. Ich liege und liege und liege …


Auf einmal kann ich tatsächlich eine Veränderung spüren. Das Vibrieren in meinem Inneren wird immer weniger und macht mehr und mehr einem Gefühl der Ruhe und des Friedens Platz. In meinem Gesicht meine ich sogar ein Lächeln wahrzunehmen. Und dann geschieht etwas, womit ich niemals gerechnet hätte, was meine kühnste Phantasie sich nicht hätte ausmalen können.


Ich spüre, wie sich zu meiner Rechten jemand neben mich legt, ohne ein Wort zu sagen, und es fühlt sich gut an. Wir sprechen nicht und ich halte weiterhin die Augen geschlossen, als ich merke, dass sich auch zu meiner Linken jemand neben mich legt. Ein weiterer kommt und legt sich dazu und dann noch einer und noch einer und noch einer. Es werden immer mehr und mehr…


Irgendwann sind wir so viele geworden, dass unsere Menschenkette bis in die nächste Stadt reicht. Immer mal wieder steht einer auf, wenn es ihm doch zu unbequem geworden ist, und sogleich nimmt ein anderer wie selbstverständlich seinen Platz ein.


Hin und wieder werde ich gefragt, warum ich das täte und ob es nicht langsam unbequem werden würde. Ich antworte, dass ich es täte, um zu entspannen und dass ich den Untergrund wohl spüren würde, er aber keine Bedeutung hätte.


Ich kann deutlich ihre Überraschung wahrnehmen. Sie sind der Meinung, dass ich in einer wichtigen Mission unterwegs wäre, einen bedeutenden Auftrag hätte. Dass ich einfach nur entspannte und damit so viele Menschen erreichte, erschien ihnen beinahe unmöglich.


Dann kommt der Zeitpunkt, an dem ich feststelle, dass für mich in diesem Moment der höchste Grad an Entspannung erreicht war. Darüber hinaus hatte die Sache eine Eigendynamik gewonnen, bei der ich nun nicht mehr gebraucht werden würde. Und so stehe ich auf und gehe genauso, wie ich mich hingelegt hatte.


Kurze Zeit darauf fährt ein Bus voller Menschen an mir vorbei. Glückseligkeit strahlt aus ihren Gesichtern und sie winken mir freudig zu. Ich erkenne sie wieder, jeden Einzelnen von ihnen. Es sind die Menschen aus meiner Kette. Sie haben sich auf den Weg gemacht mit der Absicht, sich über die ganze Welt zu verbreiten.



♦ ♦ ♦



Meine erste Assoziation beim Aufschreiben dieses Traums ist Forrest Gump. Forrest ist gelaufen und die Menschen sind mit ihm gelaufen. Ich habe mich hingelegt und die Menschen haben sich dazugelegt. In beiden Fällen geht es nicht darum, ein Ziel zu erreichen, sondern einen Zustand. Dieser Zustand muss also einer sein, der die Menschen magisch anzieht.


Rottweil ist meine Geburtsstadt, der Ort, an dem mein irdisches Leben beginnt. Ich denke an die Quelle eines Flusses, an der er seinen Ursprung nimmt. Was an Forrest Gump so berührt, ist seine Urspünglichkeit. Auch hier begegnet mir wieder der Begriff des Ursprungs. Rottweil steht demnach symbolisch für meine innere Quelle, meinen göttlichen Ursprung.


Als kleines Mädchen wollte ich Krankenschwester werden. Mein größter Wunsch für alle Menschen war immer, dass sie glücklich und gesund sein mögen. Ich habe mich selbst oft gemalt, wie ich in Afrika Krankenbetten schiebe, weil in meiner Vorstellung dort die ärmsten aller Menschen lebten. Was ich damals noch nicht wusste war, dass ich nur geben kann, was ich auch habe.


Mir fällt eine buddhistische Meditation ein, die mich über viele Jahre begleitet hat - Herzenswärme entfalten. Man beginnt mit der Vorstellung bei sich selbst. Als nächstes weitet man sie aus auf geliebte Menschen und wenn das integriert ist, bezieht man zuletzt diejenigen mit ein, mit denen man Schwierigkeiten hat oder gegen die man gar Abscheu hegt.


„Möge ich mit Herzenswärme

erfüllt sein.

Möge ich gesund sein.

Möge ich mich friedlich

und gelassen fühlen.

Möge ich glücklich sein.“


Das Entscheidende hierbei ist, dass man bei sich selbst beginnt. Ich kann anderen erst dann wahrhaft helfen, wenn ich mir selbst geholfen habe. Ich kann anderen nur dann Liebe geben, wenn ich die Liebe in mir entfacht habe. Und der Clou ist, das zeigt mir dieser Traum, ich muss nichts dafür tun - im Gegenteil. Ich muss aufhören zu machen und anfangen zu sein.


Die meisten von uns kennen diesen inneren Antreiber, der uns vorwärts peitscht und zuruft: „Du musst machen, machen, machen …!“ Beim Schreiben habe ich schon oft die Botschaft erhalten: hör auf zu machen und fang an zu sein. Dein bloßes Handeln im Außen wird verpuffen, während du aus dem Sein heraus eine Strahlkraft entwickeln wirst, die die Menschen in ihren Herzen berühren wird.


Zu Beginn meines Traumes weichen die Menschen vor mir zurück, am Ende fühlen sie sich von mir angezogen. Wir wirken immer auf andere, ob wir wollen oder nicht, ob es uns bewusst ist oder nicht. Unterschwellig nehmen sie unseren inneren Zustand wahr. Mir kommt der Begriff der "Absichtslosigkeit" in den Sinn. Dieses Bild der Menschenkette im Traum zeigt besser als tausend Worte, was passiert, wenn wir wahrlich loslassen.


Und noch eine Botschaft hat der Traum: du findest das Glück, das wahre, ewige, immerwährende Glück, nach dem die ganze Menschheit auf der Jagd ist, niemals im Außen. Du findest es nicht in Lob und Bewunderung, nicht in Geld, Besitz und Macht, denn dieses Glück ist flüchtig. Du findest es allein in deinem Inneren und dazu musst du zurück zu deinem Ursprung.

 
 
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